Hintergrundgeschichte
"Der am 31. Oktober 1943 verstorbene Dr. med. Ludwig Paul Wolf hat aufgrund seines Testaments aus dem Jahre 1937 dem Bezirk Steglitz sein gesamtes Vermögen mit der Bestimmung hinterlassen, die Erbschaft nach freiem Ermessen der Behörde für die Jugend des Bezirks Steglitz zu verwenden.“
Nach Jahren der Unwissenheit über den Spender des Hauses, dem jetzigen Jugendfreizeitheim in der Geraer Straße 43, haben wir im Jahre 2005 intensiv mit unseren Nachforschungen über den jüdischen Arzt Dr. Wolf begonnen.
Zunächst einmal wollten wir mehr über die jüdischen Menschen und ihre Verfolgung im Nationalsozialismus erfahren und besuchten im März eine Ausstellung im Rathaus Schöneberg mit dem Thema :“Wir waren Nachbarn, 92 Biografien jüdischer Zeitzeugen.“ Zusätzlich konnten wir uns in den Gedenk- /Totenbüchern der ermordeten jüdischen Menschen aus den Bezirken Tempelhof und Schöneberg einen Einblick verschaffen. Wie wir schon ahnten, war Dr. Wolf hier nicht verzeichnet, da er ja auch im Bezirk Steglitz gelebt hatte.
Ein paar Hinweise gab es aus der direkten Nachbarschaft :
Dr. Wolf war lange Zeit Arzt in einem Krankenhaus in Rüdersdorf und hatte eine Ehefrau namens Eva, von der er allerdings geschieden war. Es gab noch so viele unbeantwortete Fragen: Wie ist er verstorben, warum har er das Haus gerade der Jugend vererbt und so weiter. Ein Flyer sollte helfen, Zeitzeugen zu finden.
Wir lernten eine alte Dame kennen, die schon in den Jahren 1944 bis 1945 als junges Mädchen beim „Bund deutscher Mädchen“ (BDM) einmal wöchentlich dieses Haus besuchte. Wir luden sie zu einem Interview ein und erfuhren sehr viel Erschreckendes über die damalige Zeit. Um besser verstehen zu können, was der Nationalsozialismus mit den Menschen, aber auch schon mit Kindern und Jugendlichen machte, sahen wir uns gemeinsam den Film „Die Welle“ an. Trotz allem hegten noch einige von uns Zweifel daran, dass man so beeinflussbar sein kann und damit anderen Menschen derart schaden kann.
An diesem aufschlussreichen Nachmittag hatten wir sehr viel über die damalige Zeit erfahren, aber leider wenig bzw. gar nichts über Herrn Dr. Wolf, außer dass er über eine große Büchersammlung verfügte, und er sicherlich ein sehr belesener Mann war.
Bis 1943 bewohnte Herr Dr. Wolf das Haus. Unmittelbar nach seinem Tod wurde es zur Nutzung für die nationalsozialistische Jugendarbeit zur Verfügung gestellt.
Auch für unsere Interviewpartnerin war dieses Treffen ein bewegender Tag. Sie sah das erste Mal nach 50 Jahren das Haus wieder. Vieles fast Vergessene kam ihr schmerzlich in Erinnerung.
Als nächstes beschlossen wir, einen Ausflug nach Rüdersdorf zu unternehmen, um das Krankenhaus und das frühere Wohnhaus von Dr. Wolf zu suchen. Wir mussten jedoch feststellen, dass der Ort Rüdersdorf so nicht mehr existierte, da mittlerweile dort Kalkstein abgebaut wird. So nutzten wir den Tag, um ausgiebig das Museum und den Steinbruch für den Kalksteinabbau zu besichtigen. Erst zu einem späteren Zeitpunkt war es uns möglich, den Ortschronisten von Rüdersdorf kennen zu lernen und mehr über Dr. Wolf zu erfahren.
Nach diesem Treffen waren wir wieder einen Schritt weiter gekommen. Es gab einiges Neues zum beruflichen Werdegang von Dr. Wolf und auch zu seiner Ehefrau Eva, mit der er vermutlich 1932 nach Berlin zog und das Doppelhaus in der Geraer Straße (bis 1934 hieß die Geraer Straße noch Grenzstraße) bauen ließ.
Mit diesen Informationen wollten wir nun die Grundbuchakten einsehen und verabredeten einen Termin im Bauamt Steglitz-Zehlendorf, in der Hoffnung mehr über Bauzeit und Fertigstellung des Gebäudes, sowie zur Übertragung des Hauses an den Bezirk zu erfahren. Zu unserem Erstaunen gab es nur noch ein paar Gebäudezeichnungen der Doppelhaushälfte von 1932, dem Baujahr des Hauses. Alle anderen Seiten waren aus den Akten verschwunden.
Der damalige Baumeister, der noch mehrere baugleiche Häuser in der näheren Umgebung errichtete, war ein Herr Konrad.
Wir waren eigentlich keinen Schritt weiter gekommen. Auf die Fragen "Wo?" und vor allem "Wie?" ist Dr. Wolf verstorben und "Warum?" hat er sein Haus und sein Vermögen gerade der deutschen Jugend vermacht, hatten wir immer noch keine Antwort.
In der Stadtbücherei gleich nebenan bot sich die Möglichkeit, in die Gedenkbücher des Bundesarchivs nach dem Namen Wolf zu suchen. Herr Oldenburg hatte die Einsicht in die Bücher schon organisiert. Da Herr Wolf in den Büchern nicht zu finden war, hofften wir, dass Hr. Wolf nicht aufgrund von Verfolgung verstorben ist.
Weitere Anhaltspunkte versprachen wir uns in Bergholz-Rehbrücke, dem letzten Aufenthaltsort von Frau Eva Wolf, der geschiedenen Frau.
In der Nachbarschaft des ehemaligen Wohnhauses in der heutigen Rathenaustraße erfuhren wir, dass Dr. Wolf sogar in kaiserlichen Diensten war, wofür er eine ganz besondere KPM-Vase erhalten hatte, die sich heute im Besitz einer Nachbarin befindet.
Die Haushälfte Geraer Straße 43, an der Bushaltestelle des M 11 ist ein ganz normales Einfamilienhaus in einer ruhigen Gegend in der Nähe des Friedhofs Lange Straße und wird seit Jahrzehnten vom Jugendamt des Bezirkes genutzt. Nur wenigen Mitarbeitern des Jugendamtes war bekannt, dass das Haus zur Zeit des Nationalsozialismus von einem jüdischen Arzt namens Dr. Wolf zum Wohle der Jugend in Steglitz testamentarisch vermacht wurde. Mehr wusste man nicht und wollte man wohl auch nicht wissen .....
Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben das Dunkel der Vergangenheit zum Anlass genommen, gemeinsam mit uns Kindern und Jugendlichen herauszufinden, wer Dr. Wolf war.
Unsere langwierigen Recherchen haben Folgendes noch ans Licht gebracht. Dr. Wolf wurde am 06.05.1876 in Dresden geboren, seine Geburtsurkunde bestätigt das. Seine Eltern waren beide evangelisch. Wahrscheinlich hatte er ein Großelternteil, der jüdischen Glaubens war. Er wurde 67 Jahre alt und zu unserer Erleichterung ist er nicht in einem Konzentrationslager umgebracht worden. Er verstarb am Wohnort seiner wohl zwangsweise geschiedenen Ehefrau in Rehbrücke bei Potsdam. Die Grabstelle ist noch erhalten und es ist unser Wunsch, dass sie in Zukunft von uns gepflegt wird. Wie es ihm in den Jahren in Berlin bis zu seinem Tode erging, darüber konnte uns auch niemand aus der Nachbarschaft etwas berichten. Viele sind verstorben oder möchten auch einfach nicht über die Zeit des Nationalsozialismus öffentlich sprechen.
Unsere Nachforschungen haben auch noch ergeben, dass die Eheleute Wolf sehr ehrenwerte und großzügige Menschen waren, die durch den Nationalsozialismus in Verfolgung und Bedrängnis gerieten. Deshalb sollten sie nicht vergessen werden. Wir Kinder und Jugendliche wünschen uns, dass unser Jugendheim nach dem Wunsche von Dr. Wolf der Jugend erhalten bleibt und bald eine Gedenktafel an ihn erinnert!